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DAS ERWACHEN

 

EUROPA/BERLIN/HBF

Freitag 31.12.1999 12:00:00Uhr (13:00:00 Uhr UTC)

Holger Strauch ist zweiunddreißig Jahre alt, Taxifahrer und muss am Abend des Millenniums arbeiten. Heute scheint irgendwie nicht sein Tag zu sein. Immer noch stehen ungefähr fünfundzwanzig Taxis vor ihm und warten auf Kundschaft. Er hätte den Abend viel lieber mit seiner neuen Freundin verbracht, aber irgendwo muss das Geld für die Miete ja her kommen. Gelangweilt macht er das Radio an: „…en Stunden im Chaos? Stromversorger, Banken, Krankenhäuser und andere Institute glauben sich auf den Jahrtausendwechsel gut vorbereitet zu haben. Absolute Sicherheit kann aber niemand garantieren. Viele Augen blicken gespannt nach Sydney, denn die Computer der australischen Metropole werden als erste den möglichen Auswirkungen des so genannten "Y2K"-Fehlers ausgesetzt sein. Zeitzone für Zeitzone wird das Problem dann nach Westen wandern. Das zentrale deutsche Krisenzentrum im Berliner Innenministerium wird den Zeitvorteil von bis zu zwölf Stunden nutzen, um …“, Holger schaltet das Radio wieder aus: „Die machen doch alle nur noch mehr verrückt mit diesen Berichten. Ich gehe jede Wette ein, dass überhaupt nichts passiert. Ist doch alles völliger Schwachsinn. Na endlich! Nur noch dreiundzwanzig Taxis.“

 

ANTARKTIKA/NEUMAYER-FORSCHUNGSSTATION

Freitag 31.12.1999 21:30:27Uhr (23:30:27Uhr UTC)

Bald beginnt das neue Jahr. Ein neues Jahrtausend, um genau zu sein. Das Jahr 2000. Die Crew der Polar 2 und die Besatzung der Neumeyer Station feiern mit Fondue und Sekt ins neue Jahr hinein. Draußen herrschen arktische Temperaturen aber der Himmel ist Sternenklar. „Nirgendwo kann man wahrscheinlich einen schöneren Sternenhimmel sehen“ denkt Martin, der sich kurz von der feiernden Meute entfernt hat. Er lehnt sich an die Polar 2 an, die durch Driftschnee bis zum Bauch eingebettet wurde. Dieser letzte Messflug heute hatte ihn geärgert. Einige Messgeräte haben eindeutig falsche Ergebnisse geliefert. Das wird ihre Arbeit hier wieder um Wochen zurückwerfen, wenn die Geräte tatsächlich defekt sein sollten. Hier draußen kann es unter Umständen Monate dauern, bis Ersatzteile geliefert werden. „Oh Polarlichter…“, denkt er. Blauweiße Lichter bilden eine Art seidenen Vorhang am Firmament.

 

ASIEN/TOKIO/BEZIRK MARUNOUCHI

Samstag 01.01.2000 08:35:54Uhr (23:35:54Uhr UTC)

Es dämmert bereits, doch Takumi sitzt immer noch am Zentralrechner. Die Senior Partner vertrauen ihm und er muss weiterhin sehr wachsam sein. Kurz vor dem Jahreswechsel ist die Angst vor Computerabstürzen groß. Diese könnten immens hohe Kosten und Verluste für die Firma verursachen. Der Ausfall einiger Sicherheitssysteme könnte darüber hinaus auch dazu führen, dass sich Hacker in die Firmencomputer einklinken und streng geheime Informationen stehlen. Als hoch begabtes Computergenie ist er für die Sicherheit des Systems verantwortlich und muss an so einem wichtigen Tag wie dem „Oshogatsu“ Überstunden machen, anstatt mit seinen Freunden zu feiern. Takumi kennt alle Tricks dieser Hacker. Er selbst hat schon oft seine Kenntnisse zur Industriespionage angewandt. „Da ist wieder einer!“, flüstert er leise vor sich hin, während er versucht die IP Adresse des vermeintlichen Hackers herauszufinden: „Gleich hab ich dich! Hey, du bist gut. Jetzt zeig ich dir mal wie das richtig geht!“.

 

EUROPA/ROM/PETERSDOM/GEHEIMES ARCHIV DES VATIKANS

Samstag 01.01.2000 00:40:13 (23:40:13Uhr UTC)

Bruder Antonio konnte in den letzten zwei Nächten nicht gut schlafen. Etwas beschäftigt ihn und lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Draußen hört er vom Petersplatz her die feiernden Menschenmassen durch die Luftschächte. „Gott sei dank, schon fast 01:00Uhr und nichts schlimmes ist passiert!“ denkt er und sucht weiter. Irgendwo hier muss Bruder Desiderius es versteckt haben. Er hatte es schon einmal gefunden. Es stand normal bei den ganzen anderen Büchern hier, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Doch Bruder Desiderius meinte, dass es selbst für Antonio noch nicht an der Zeit wäre, dieses Buch zu lesen. Und dann hat er es an einem neuen Ort versteckt. Aber Antonio hat ihn gestern in diese Katakombe hinein schleichen gesehen. Das Buch muss hier irgendwo sein. An der Wand hängt ein alter vergammelter Wandteppich, der Knüpfereien des letzten Abendmahles zeigt. Merkwürdig, hier unten ist sonst nichts dekoriert. Nur kalte, feuchte Mauern in einem riesigen Irrgarten aus Kellergewölben. Als er den Wandteppich zur Seite zieht, fängt sein Puls an zu rasen. Da ist es, versteckt in einer Nische zwischen den Mauersteinen. Er zieht das Buch heraus und legt es neben die Kerze auf den alten Tisch, in der Mitte des Gewölbes.

 

EUROPA/MOSKAU/WOSTOCHNY

Samstag 01.01.2000 02:43:38 (23:43:38Uhr UTC)

Alexei sitzt vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Neben seinem Sessel steht der prachtvoll geschmückte Jolka, ein Tannenbaum, den er heute zusammen mit Nadja dekoriert hat. Darunter liegen zwei Geschenke, die in rotes Papier eingepackt sind: „Nadja, komm schnell und sieh dir das an! Jelzin ist zurückgetreten und Putin ist Präsident.“ Nadja kommt eilig aus der Küche gerannt: „Was, Jelzin ist jetzt schon zurückgetreten? Seine Amtszeit hätte doch noch ein halbes Jahr gedauert.“ Alexei zeigt auf den Fernsehapparat: „Ja, aber es ist so. Da, schau.“ Nadja schaut ihn verliebt an: „Schatz, hast du die Postkarten gestern nach der Arbeit auch in den Briefkasten geworfen?“ fragt sie. „Ja, hab ich Schatz. Schade, dass wir diesmal nicht mit deiner Familie ins neue Jahr feiern können. Mit dem Baby können wir aber nicht so weit reisen, es kann schließlich jetzt jeder Zeit zur Welt kommen. Lass mich bitte noch kurz schauen was mit Putin ist. Verdammt, jetzt zeigen die einen Bericht über den Jahreswechsel in London. Die hatten ja noch gar kein Neujahr. Schau dir mal den feinen Herrn da mit dem Zylinder an. Schatz wo ist die Fernbedienung? …Nadja? Schatz wo ist…oh Gott. Schatz was ist mit dir?“

 

ASIEN/TOKIO/BEZIRK MARUNOUCHI

Samstag 01.01.2000 08:45:14 (23:45:14Uhr UTC)

Takumi greift nach seinem Head-mounted-Display und setzt es auf: „Sprachsteuerung aktivieren! Verbinde Neurale Anschlüsse mit meinen Nervenbahnen. Anmeldung: Firmennetzwerk Tamajoto. Passwort: Saberrider42. Schalte um auf Gedankenkontrolle.“ Takumis Geist und sein Computer scheinen miteinander zu verschmelzen. Während er tippt, gibt er gleichzeitig durch seine Gedanken Befehle an den Rechner weiter. „So du Wichser, dass ist das neueste aus der Entwicklung der virtuellen Technik. Jetzt mach ich dich alle! Oh...!“ Plötzlich erkennt Takumi, dass das Signal nicht von außerhalb des Firmennetzwerkes kommt. Es kommt direkt vom Zentralrechner.

 

EUROPA/MOSKAU/WOSTOCHNY

Samstag 01.01.2000 02:50:38 (23:50:38Uhr UTC)

Alexei versucht aufgeregt einen Arzt zu erreichen, jedoch ohne Erfolg. Nadja liegt mit starken Wehen im Bett und schreit ununterbrochen. „Du musst ruhiger atmen Nadja“, versucht er sie zu beruhigen, aber mehr noch sich selbst. „Was soll ich jetzt tun?“, fragt er sie. „Du musst unsere Tochter zur Welt bringen…“, flüstert Nadja.

 

EUROPA/ BERLIN/ HBF

Freitag 31.12.1999 22:52:11Uhr (23:52:11 Uhr UTC)

„Was für ein Tag“, denkt Holger Strauch, dessen Nachtschicht soeben begonnen hat. Genervt schaltet er das Radio wieder ein: „Der neue russische Regierungschef wurde 1952 in Leningrad geboren. 1975 beendete er sein Jurastudium. Seine erste Reise als amtierender Präsident führte ihn noch in der heutigen Silvesternacht in die Kaukasus-Republik Tschetschenien. Das russische Staatsfernsehen zeigte ihn beim symbolträchtigen Verteilen von Jagdmessern an Soldaten." „Krass, was heute Abend so abgeht in der Welt.“, denkt Holger. Die Beifahrertüre öffnet sich und ein Herr mit Zylinder steigt ins Taxi. „Entschuldigung aber sie müssen das erste Taxi da…“ möchte Holger sagen, doch er wird von dem Mann unterbrochen. „Nach London bitte zum Big Ben.“ entgegnet der Zylindermann höflich und gelassen, mit einem leicht englischen Akzent. Holger scheint es überhaupt nicht merkwürdig zu finden, dass der Fahrgast von Berlin nach London in einem Taxi fahren möchte. Wie hypnotisiert schaltet er den Gebührenzähler ein und fährt los. Seine Kollegen schimpfen fürchterlich als er an ihnen vorbeifährt, doch er  beachtet sie gar nicht und biegt in eine Sackgasse ein. Die dreiundachtzig Jahre alte Ruth Müller sitzt an einem Fenster in dieser Straße und möchte sich das Berliner Neujahrsfeuerwerk ansehen.Plötzlich, wie aus dem Nichts, steigt Nebel auf. „Seltsam ...“, denkt sie. „Ich hätte schwören können, dass dort eben ein Taxi direkt auf die Mauer zu gefahren ist.“

 

ANTARKTIKA/ NEUMAYER-FORSCHUNGSSTATION

Freitag 31.12.1999 21:54:26 (23:54:26Uhr UTC)

„Verdammt es ist weg. Und da kommen die anderen aus der Röhre. Nur einen Augenblick früher und sie hätten es auch gesehen.“ Martin steht gebannt neben der Polar 2 und schaut gen Himmel. „Was ist denn los Martin, warum sollten wir nun raus kommen? Wenn das wieder einer deiner Scherze ist, werfe ich dich den Pinguinen zum Fraß vor.“ Miriam war schon etwas angetrunken. „Da war ein riesiger…“, blauer Planet, wollte Martin antworten, aber er unterbrach den Satz. „Ein riesiger was…“ fragte Uwe, der gerade aus der Röhre kletterte. „Ach nichts, war wohl doch nur ein Wetterleuchten“, entgegnete Martin unsicher. „Wetterleuchten? Toll, lasst uns hier draußen in Uwes Geburtstag rein feiern. Vielleicht sehen wir ja noch eins. Was wäre denn Silvester ohne ein schönes Feuerwerk. Hey, schaut mal. Die Eisradarantennen unter den Tragflächen der Polar 2 kann man bestimmt auch wunderbar als Bar benutzen.“

 

EUROPA/ROM/PETERSDOM/GEHEIMES ARCHIV DES VATIKANS

Freitag 23:59:51 (23:59:51Uhr UTC)

Bruder Benedict betrachtet den Einband des Buches: „Offenbarungen des Sebastian – Das Erwachen“.

 

ASIEN/TOKIO/BEZIRK MARUNOUCHI

Montag 06:59:52 (23:59:52Uhr UTC)
Takumi verspürt plötzlich eine leichte elektrische Spannung in seinen Schläfen: „Verdammt, was hat das zu bed…“ Mehrere hundert Volt laufen schlagartig durch seinen Körper. Danach sinkt dieser leblos vom Schreibtischstuhl zu Boden. Auf dem Bildschirm öffnet sich ein Dialogfenster: „Takumi-KI0.1 online 00:00:01. Brauche Input!“

 

EUROPA/MOSKAU/WOSTOCHNY

Samstag 01.01.2000 02:59:53 (23:59:53Uhr UTC)

Alexei sitzt am Küchentisch und hält eine Flasche Wodka in der Hand. Mit der anderen Hand bedeckt er seine Augen. Er seufzt. Die Türe zum Schlafzimmer steht offen. Er nimmt noch einen tiefen Schluck aus der Flasche, steht auf und torkelt zur Schlafzimmertüre. Das Baby hatte er in ein Bettlaken eingewickelt und in Nadjas Arme gelegt. Alexei nimmt noch einen tiefen Schluck und bewegt sich langsam auf das Bett zu. Nadja schaut irritiert auf. Behutsam faltet er ein Stück des Bettlakens zur Seite. „Tatsächlich! Spitze Ohren!? Die muss sie von deiner Mutter haben!“, flüstert er leicht angetrunken aber sehr liebevoll.

7, 6, 5, 4, 3, 2, 1…

 

EUROPA/ LONDON/ BIG BEN

Millennium 00:00:00Uhr (00:00:00Uhr UTC)

0…Die Zeit steht still. Das ist jetzt nicht metaphorisch gemeint, denn James steht mitten in der eben noch feiernden Menschenmenge und nichts rührt sich. Die Leute scheinen wie Wachsfiguren mitten in ihrer Handlung fest gefroren zu sein. Er sieht sich um. Neben ihm steht ein Mann, der gerade eine sprudelnde Sektflasche geöffnet hatte. Der Korken hängt regungslos einen Meter über den Köpfen der Menschen in der Luft. Eine betrunkene Frau hat im Tumult das Gleichgewicht verloren. Ihr Absatz ist abgebrochen und eigentlich müsste sie nun zu Boden fallen. Aber ihr Körper verharrt regungslos in einer unglaublich peinlichen Pose und sie macht dabei auch noch ein sehr schockiertes Gesicht. James schaut zur Turmuhr des Big Ben. Null Uhr! Die Zeit steht still. Nichts regt sich und es ist auch nichts zu hören. Oder doch? James versucht sich zu konzentrieren. Da ist etwas, ein leises Geräusch. Es klingt wie das ticken einer Uhr. Kann das sein? Er glaubt die Zahnräder des Big Ben in der Ferne zu hören. Mit einem lauten ohrenbetäubenden Knall ist plötzlich alles um ihn herum wieder belebt. Menschen schreien vor Freude, Sektkorken Knallen und ein riesiges Feuerwerk findet statt. James fängt die Frau mit dem abgebrochenen Absatz auf, die ihm daraufhin einen lange anhaltenden Kuss gibt. Die Glocken des Big Ben ertönen. James sucht verwirrt nach seinen Zigaretten. Ein Mann mit einem Zylinder reicht ihm Feuer und wünscht ihm ein frohes neues Millennium. Ein Betrunkener rempelt ihn an und als James sich wieder umschaut ist der Mann mit dem Zylinder schon wieder verschwunden. Da ertönt abermals ein lauter Knall. Diesmal ist es ein Autounfall. Ein scheinbar völlig verwirrter, deutscher Taxifahrer wollte falsch abbiegen. James versteht nicht genau, was dieser aufgeregt versucht den Bobbys mitzuteilen. Nur wenige Wortfetzen kann er mit seinem geringen, deutschen Wortschatz heraushören: "...Mann mit Zylinder...eben noch in Deutschland...ich will telefonieren...nein das ist mein Taxi, verdammt nochmal...". "Diese Deutschen werden es wohl niemals wirklich lernen auf der richtigen Straßenseite zu fahren.", denkt sich James und tritt seine Zigarette aus.

 

IRGENDWO AN EINEM GEHEIMEN ORT

Irgendwann zwischen 31.12.1999 und 01.01.2000 (00:00:00Uhr UTC)

Durch dichten Nebel wandert eine Gestalt mit Zylinder und Gehstock. Plötzlich bleibt sie stehen und schaut sich suchend um. Dann zeichnet sie mit dem Gehstock etwas in den Staubigen Boden, woraufhin ein Stuhl wie aus dem nichts erscheint. Die Person nimmt darauf platz, schlägt ihre Beine übereinander und zupft ihre Handschuhe zurecht. Danach zieht sie aus ihrem Jackett eine Taschenuhr und wirft einen prüfenden Blick darauf. „Ihr seid spät dran!“, flüstert eine tiefe Stimme aus dem Nebel. „Genau richtig, möchte ich meinen!“, entgegnet die Person mit dem Zylinder. „Ich habe noch einen kleinen Abstecher nach London unternommen. Ein derartiges Ereignis findet nicht alle Tage statt und ich wollte im Zentrum des Geschehens dabei sein.“

Der Zylindermann zündet sich eine Zigarette an und aus dem Nebel erscheint eine Gestalt mit langem Kapuzenumhang und Stab: „Sir Robin, es war sehr leichtsinnig von euch, sich heute unter die Schläfer zu begeben. Der Schleier ist gefallen. Das Erwachen hat begonnen. Ich spüre es und ihr spürt es auch. Diese Magie, die uns durchströmt, ist um ein vielfaches stärker als zuvor.“ Sir Robin zieht an seiner Zigarette: „Ihr habt recht alter Freund, ich habe heute unter anderem ein paar nützliche neue Fähigkeiten an mir entdeckt, aber darüber reden wir zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Wo ist der Rest von uns? Sind alle Vorbereitungen getroffen?“ „Wie verabredet anwesend Sir Robin.“, ertönt eine hallende Stimme. Aus dem Nebel gleitet eine würdevolle, androgyne Gestalt, mit blau schillernder Haut, Anzug und Krawatte: „Es ist alles vorbereitet, so wie es die Prophezeiung vorgeschrieben hat.“ Sir Robin schaut den Androgynen etwas irritiert an: „Kryll…seid ihr das?“ „Das Millennium hat auch bei mir seine Spuren hinterlassen, Sir Robin!“, erwidert Kryll völlig emotionslos.

Sir Robin schaut erneut prüfend auf seine Taschenuhr, als ein einzelner Scheinwerfer in der ferne des dichten Nebels zu erkennen ist. Mit lautem Getöse rast ein rotes Motorrad aus dem Nebel hervor und kommt nur wenige Zentimeter vor Kryll zum stehen. Der blauhäutige zuckt mit keiner Wimper und wirkt völlig unbeeindruckt. „Hey Kryll, alles senkrecht?“, fragt eine weibliche Stimme unter dem Helm. „Seit wann hast du dich den tätowieren lassen? Robin, frisch siehst du aus, aber modisch hängst du immer noch schwer hinterher. Und Bruder Desiderius ist auch schon da.“ „Unterlasse es doch bitte, Kryll wegen seiner neuen Hautfarbe zu hänseln.“, entgegnet Sir Robin. Die Dame zieht ihren Helm aus und zum Vorschein kommt eine sehr attraktive Frau mit schwarzen Haaren und zwei kleinen Hörnern auf der Stirn. „Ach und was soll ich sagen? Wisst ihr eigentlich wie schwer es war, mir auf die Schnelle einen passenden Helm zu besorgen?“ Sir Robin kann sich ein leichtes schmunzeln nicht verkneifen.

„Sind wir nun vollzählig?“ fragt eine weitere Stimme und vier Gestalten treten aus dem Nebel hervor. Sir Robin, Bruder Desiderius, Kryll und Helena gehen sofort ehrfürchtig auf die Knie, als sie die Stimme hören. „Wir grüßen euch Meister Amires und ich darf euch mitteilen, dass alles so läuft wie ihr es geplant habt.“, sagt Sir Robin. Meister Amires deutet allen an sich zu erheben. Als sie ihn direkt anschauen, sehen sie eine durchsichtige, schimmernde Gestalt. In seiner linken Hand hält er einen Würfel und in der rechten einen Stab, der eine Mischung aus Lanze und Sense zu sein scheint: „Gut, ich habe nicht viel Zeit. Mein Geist muss bald zurückkehren. Was ist mit den großen Fraktionen?“ „Ich habe mich eben mit einigen den Vorstehern der Fraktionen getroffen und diese haben mir dasselbe berichtet.“, antwortet Kryll kühl. „Es haben sich sogar einige neumodische Fraktionen gegründet. Die ersten Monarchen sind auch erwacht, ich bin mir nicht ganz sicher, wie sie sich in dieser neuen Zeit zurechtfinden werden.“

„Dann lasst uns schnell beginnen!“, entgegnet Meister Amires und fügt hinzu: „Darf ich euch Anastasia Ivanova, Anchahka und Borga vorstellen.“ Nun kann man auch die übrigen Gestalten erkennen welche aus dem Nebel treten. Eine Frau mit langen schwarzen Haaren, marmorbleicher Haut und einem schwarzen Barockkleid. Ein Mädchen mit schneeweißer Haut, blauen Haaren und spitzen Ohren, gehüllt in ein seidenweißes Gewand. Hinter ihr kommt gelegentlich ein Schwanz mit einer kleine buschigen Quaste zum Vorschein, mit dem sie leicht aufgeregt hin und her wedelt. "Ein Traumling?!", dachte Sir Robin. Das dritte Wesen im Bunde ist ein weißer Minotaure, ein Titan der Chimären. Neben schamanischen Runen auf seinem Körper kann man tief vernarbte Wunden erkennen.

„Meister Amires, was ist nun mit eurem Orden? Wer soll uns leiten und beistehen, wenn nicht ihr?“ fragt Bruder Desiderius. „Der Orden der arkanen Krieger wird im verborgenen bleiben und versuchen, eine neue Generation von Aethersensitiven Geschöpfen auszubilden. Es gibt immer noch zu wenige von uns und ob die anderen Gruppierungen der Aetherasketen noch existieren, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Die arkanen Krieger, die noch existieren, werden vorerst ungesehen unter euch wandeln. Sollten sie dabei auf Anhänger der Dras´shar Sekte stoßen, werden sie alles tun, um diese zu bekämpfen.“

Er schaut kurz gen Himmel: „Lasst uns nun keine Zeit mehr mit Worten verschwenden.“ Meister Amires schleudert seinen Stab geschickt durch die Luft und ein leichter Windhauch treibt den Nebel soweit zurück, dass sieben kreisförmig angeordnete Megalithen zum Vorschein kommen. „Nehmt eure Position ein“, sagt er und alle Anwesenden begeben sich zu einem der mystischen Steine. Dann rammt er mit seiner rechten Hand den Taura'tavar, die Stabwaffe der arkanen Krieger, in den Boden. Die Erde beginnt zu beben. Er streckt seine linke Hand mit dem Arkon, einem magischen Würfelartefakt, gen Himmel. Blitze schlagen in das Arkon ein und werden scheinbar durch den Astralkörper, über den Stab, in den Boden und zu den sieben Steinen geleitet. Ein achter, schwarzer Megalith, bleibt völlig unberührt. Die Erde öffnet sich und ein steinerner Altar erhebt sich aus der Tiefe. „So haben wir uns hier versammelt, um den alten Schwur der Völker und den Pakt der Mächte zu erneuern.“, spricht Meister Amires und legt das Arkon auf den Altar. Die Erde bebt immer noch. „Wie schon vor langer, langer Zeit sind die Vertreter der sieben Häuser hier auf Mythandria zusammengekommen, denn das Zeitalter des Erwachens hat begonnen. Der Nebel über der Ritualstätte lichtet sich und ein riesiger blauer Mond kommt zum Vorschein und hüllt den Altar in sanftes, blau schimmerndes Licht. Etwas abseits von ihm leuchtet ein kleiner weißer Mond. Meister Amires Stimme hallt nun wie aus einer anderen Dimension: „Arkain tir kromm derat, siful dar Arkanum, Arkon het dra Taura`der, min ju Taura´tar!“

 

EUROPA/ LONDON

01.01.2000 01:01:01Uhr (01:01:01Uhr UTC)

Sir Robin wacht erschrocken auf dem Sofa in der Lounge seines Anwesens auf. Sofort greift er nach seiner Taschenuhr. 01:01 Uhr. Ein Butler kommt mit einem schnurlosen Telefon durch die Türe: „Für sie, Sir Robin.“ Er nimmt das Telefon ohne zu fragen wer dran ist. Die Türklingel läutet und der Butler begibt sich wieder aus dem Raum. „Ja bitte?“ Helenas stimmte dringt durch den Hörer: „Hey Robby, gut das du zu Hause bist. Sag mal hattest du gerade auch so nen krassen Traum?“ Robin versucht sich an die Details des Traumes zu erinnern. Eine Art Schwur und die sechs Kammerherren der anderen Häuser... aber da war doch noch mehr!? „Ja ich hatte auch diesen Traum.“, sagt er, ohne überhaupt nach zu fragen was in Helenas Traum eigentlich passiert ist. „Helena, ich rufe dich gleich zurück.“, sagt er, legt auf und geht zu seinem Schreibtisch um etwas zu suchen. Plötzlich steht sein Butler wieder im Raum: „Sir, da ist ein Herr, der sie sprechen möchte!“. „Nicht jetzt Johan, ich habe …“ „Guten Abend!“, ertönt eine leicht monotone Stimme im Hintergrund. Ein Mann mit schwarzem Anzug, roter Krawatte und Sonnenbrille steht in der Türe. Sein Handy hält er wie einen Scanner vor sich. „Markus Winter, Einheit 0015 vom MKÜP: Ministerium zur Kontrolle übernatürlicher Phänomene! Ich hätte da einige Fragen an Sie."

 

 

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